Viele Arbeitgeber gewähren Sonderleistungen wie Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld nach wie vor durch schlichte Zahlung ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung.
Wollen Arbeitgeber sich nicht dauerhaft für die Zukunft binden, müssen sie die Entstehung einer betrieblichen Übung verhindern und vor jeder Zahlung einen ausdrücklichen Freiwilligkeitsvorbehalt erklären. Wollen sie darüber hinaus die Möglichkeit haben, Sonderleistungen wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten zu kürzen, sollte der Zweck, der mit der Sonderleistung verfolgt wird, ausdrücklich festgelegt werden.
All dies entspricht seit vielen Jahren der anerkannten Beratungspraxis. Sind solche Vorkehrungen nicht getroffen worden, können Arbeitnehmer mitunter auch in den Folgejahren die ungekürzte Sonderzahlung verlangen. Dies zeigt erneut das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 25.01.2023 (10 AZR 116/22, AP Nr. 324 zu § 611 BGB Gratifikation).
Was war geschehen?
Der Arbeitnehmer war seit 2003 bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Seit dem 18.12.2017 war er durchgängig arbeitsunfähig erkrankt.
Die Arbeitgeberin zahlte dem Arbeitnehmer seit Beginn des Arbeitsverhältnisses ein jährliches Weihnachtsgeld. Dieses wurde mit dem Entgelt für den Monat November abgerechnet. In der Lohnabrechnung für November 2010 wies die Arbeitgeberin eine Weihnachtsgeldzahlung in Höhe von 400,00 € brutto aus. Zuletzt zahlte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer im November 2017 ein Weihnachtsgeld in Höhe von 1.500,00 € brutto. In den Abrechnungen war die jeweilige Leistung als „freiw. Weihnachtsgeld“ bezeichnet.
In den Jahren 2018, 2019 und 2020 erhielt der Arbeitnehmer keine entsprechenden Zahlungen mehr.
In einer an den Prozeßbevollmächtigten des Arbeitnehmers gerichteten E-Mail vom 25.03.2020 führte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin u. a. aus, das im Unternehmen „jährlich freiwillig“ gezahlte Weihnachtsgeld sei von den Faktoren „Arbeitsleistung, Zuverlässigkeit und Fehlzeiten“ abhängig.
Mit seiner Klage begehrte der Arbeitnehmer Zahlung von jeweils 1.500,00 € Weihnachtsgeld für die Jahre 2018, 2019 und 2020 nebst Zinsen.
Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, es fehle bereits an der schlüssigen Darlegung eines Anspruchs auf die begehrte Leistung in bestimmter Höhe. Im Jahr 2010 habe sie an den Arbeitnehmer nur ein reduziertes Weihnachtsgeld in Höhe von 400,00 € brutto gezahlt, weil dieser im besagten Jahr erhebliche Fehlzeiten aufgewiesen habe. Andere Arbeitnehmer ohne Fehlzeiten hätten ein höheres Weihnachtsgeld erhalten. Aufgrund der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bestehe ab dem Jahr 2018 kein Anspruch mehr. Auch anderen Arbeitnehmern werde das Weihnachtsgeld der Höhe nach im Verhältnis zur erbrachten Arbeitsleistung gezahlt. Im Jahr 2020 habe kein Arbeitnehmer Weihnachtsgeld erhalten, weil das Jahr 2020 „unauskömmlich“ gewesen sei.
Das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen hat der Klage teilweise stattgegeben und die Arbeitgeberin zur Zahlung von insgesamt 2.850,00 € brutto nebst Zinsen verurteilt. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat die Klage auf die Berufung der Arbeitgeberin vollständig abgewiesen.
Das Urteil des BAG vom 25.01.2023
Die Revision des Arbeitnehmers führte im Wesentlichen zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das BAG bejahte einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Weihnachtsgeld für die Jahre 2018, 2019 und 2020. Dieser folge aus betrieblicher Übung (Rn. 10).
Die Zahlung des Weihnachtsgeldes stelle eine betriebliche Übung dar. Für jährlich an die gesamte Belegschaft geleistete Gratifikationen sei insoweit die Regel aufgestellt worden, nach der eine zumindest dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit erstarke, falls nicht besondere Umstände hiergegen sprächen oder der Arbeitgeber bei der Zahlung einen Bindungswillen für die Zukunft ausgeschlossen habe (Rn. 12).
Die Arbeitgeberin habe seit Beginn des Arbeitsverhältnisses im November eines jeden Jahres ein Weihnachtsgeld ohne weitere Erklärungen gezahlt. Aus der E-Mail des Geschäftsführers der Arbeitgeberin vom 25.03.2020 folge darüber hinaus, daß diese auch an die anderen bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer Zahlungen mit dieser Bezeichnung geleistet habe Lediglich der Umfang der Zahlungen und das Vorliegen etwaiger Anspruchskriterien stehen zwischen den Parteien im Streit (Rn. 14).
Der in die Entgeltabrechnungen für November 2010 und November 2017 aufgenommene Hinweis auf die Freiwilligkeit der Leistungserbringung durch den Zusatz „freiw.“ (freiwillig) stehe der Annahme eines entsprechenden Erklärungswerts des Verhaltens der Arbeitgeberin nicht entgegen. Durch die Bezeichnung einer Zahlung als freiwillige Leistung werde nur zum Ausdruck gebracht, daß der Arbeitgeber nicht durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz zu dieser Leistung verpflichtet sei. Ein solcher Hinweis genüge für sich genommen nicht, um einen Anspruch auf die Leistung auszuschließen (Rn. 16).
Soweit die jeweiligen Zahlungen nicht in gleichbleibender Höhe erfolgt sein sollten, wofür es für die Jahre ab 2011 allerdings keine hinreichenden Feststellungen gebe, würde dies zu keiner abweichenden Beurteilung führen. Daraus hätten die Arbeitnehmer nicht den Schluß ziehen müssen, die Arbeitgeberin habe sich nicht dem Grunde nach auf Dauer binden wollen. Vielmehr würde daraus lediglich folgen, daß die Arbeitgeberin keinen Leistungsanspruch in fester Höhe gewähren, sondern jedes Jahr neu nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) über die Höhe der Leistungen entscheiden wolle (Rn. 17).
Die Bezeichnung der Sonderleistung als „Weihnachtsgeld“ lasse hier zwei verschiedene Auslegungsergebnisse zu.
Einerseits könne das Weihnachtsgeld eine arbeitsleistungsbezogene Sonderzuwendung sein. Dann habe der klagende Arbeitnehmer nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums keinen Anspruch auf das Weihnachtsgeld.
Andererseits könne es als anlaßbezogene Beteiligung des Arbeitgebers an den zum Weihnachtsfest typischerweise erhöhten Aufwendungen verstanden werden. Im letzteren Fall hänge die Sonderleistung regelmäßig nicht von der Erbringung einer bestimmten Arbeitsleistung ab (Rn. 22). Der Anspruch auf das Weihnachtsgeld würde trotz der durchgängigen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bestehen.
Hier lasse die Auslegung der Zahlung des Weihnachtsgelds mehrere Ergebnisse zu, ohne daß ein Auslegungsergebnis den klaren Vorzug verdiene. Daher bestehe ein nichtbehebbarer Zweifel im Sinne von § 305 c Abs. 2 BGB. Nach § 305 c Abs. 2 BGB gehen Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders. Der Arbeitgeber müsse in diesem Fall die ihm ungünstigste und für den Arbeitnehmer als Vertragspartner günstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen. Das sei diejenige, die der Klage zum Erfolg verhelfe (Rn. 18).
Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, eine Sonderzahlung, welche nicht ausschließlich der Vergütung erbrachter Arbeitsleistung diene, aufgrund fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums einseitig zu kürzen. Vielmehr setze eine Kürzung das Vorliegen einer individualrechtlichen oder kollektivrechtlichen Vereinbarung im Sinne von § 4a S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) voraus (Rn. 35 ff.). An einer solchen Kürzungsregelung aber fehle es (Rn. 38).
Schlußfolgerungen für die Praxis
Für Arbeitgeber zeigt das Urteil des BAG wieder einmal, wie wichtig ausdrückliche und gut dokumentierte Regelungen für freiwillige Sonderzahlungen sind. Dies gilt sowohl für Freiwilligkeitsvorbehalte als auch für Kürzungsklauseln. Die Beratung durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht ist insoweit unerläßlich.
Für Arbeitnehmer zeigt das Urteil des BAG, daß nicht jede Kürzung von Sonderleistungen rechtmäßig ist. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Die Analyse durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht leistet dabei Hilfe.
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