Zielvereinbarungen sind zu Recht ein beliebtes Instrument, mit dem Arbeitgeber Leistungsanreize für Führungskräfte schaffen. Für Führungskräfte stellen variable Vergütungsbestandteile oft einen wesentlichen Teil ihrer Einkünfte dar.
Doch variable Vergütungssysteme haben ihre Tücken. Insbesondere dann, wenn sie dem Arbeitgeber ein Leistungsbestimmungsrecht nach billigem Ermessen einräumen.
Zum zweiten Mal innerhalb von anderthalb Jahren mußte sich das Bundesarbeitsgericht mit den Zielvereinbarungssystemen von Unternehmen des Teva-Konzerns beschäftigen. Mit bemerkenswerten Ausführungen, die weit über die konkreten Fälle hinaus Bedeutung haben.
Worum ging es?
Das Zielvereinbarungssystem basierte jeweils auf einer Betriebsvereinbarung, der BV Bonus. Zur Begründung eines Bonusanspruches waren eine individuelle Bonuszusage und zusätzlich eine jährliche individuelle Zielvereinbarung erforderlich. Gegenstand der Zielvereinbarung waren einerseits einseitig vom Arbeitgeber für das Unternehmen festgelegte wirtschaftliche Ziele (Geschäftsziele), andererseits mit dem Arbeitnehmer vereinbarte individuelle, persönliche Ziele.
Die Höhe des Bonus war vom Ermessen des Arbeitgebers abhängig. Dieses Ermessen bezog sich bei den wirtschaftlichen Zielen auf den Erreichungsgrad und den damit einhergehenden Berechnungsfaktor, bei den persönlichen Zielen auf den Erfüllungsgrad und den damit einhergehenden Berechnungsfaktor.
In beiden vom BAG entschiedenen Fällen hat der Arbeitgeber trotz erreichter individueller Ziele die Höhe des Bonus auf Null festgesetzt, weil die wirtschaftlichen Ziele nicht hinreichend erreicht worden seien. Der Arbeitgeber bezog sich hierbei auf einen Schwellenwert, den er nicht erreicht sah. Hiergegen wandten sich die Kläger.
Urteil des BAG vom 13.10.2021
Bereits in dem vielbeachteten Urteil vom 13.10.2021 (10 AZR 729/19, AP Nr. 320 zu § 611 BGB Gratifikation) hat das BAG klargestellt, daß der Arbeitgeber bei einer in seinem Ermessen stehenden Bonuszahlung einseitig Geschäftsziele definieren kann (Rn. 56).
Auch sind grundsätzlich Schwellenwerte möglich, deren Verfehlen dem Bonusanspruch entgegensteht. Damit das billige Ermessen gewahrt wird, muß aber sichergestellt sein, daß ein Anspruch auf variable Vergütung, welche auch von der Leistung des Arbeitnehmers abhängig ist, nur dann auf Null gesetzt werden kann, wenn besonders gewichtige, außergewöhnliche Umstände vorliegen, die ausnahmsweise die Festsetzung des Leistungsbonus auf Null rechtfertigen (Rn. 113).
Der Arbeitgeber hatte diese Anforderungen mißachtet. Die Leistungsbestimmung mit der Höhe Null war daher ermessenwidrig und damit gemäß § 315 Abs. 3 S. 1 BGB unverbindlich (Rn. 101, 107 ff.). Die ermessenswidrige Leistungsbestimmung führte damit zu einer gerichtlichen Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB. Diese ist Sache der Tatsacheninstanzen und nur eingeschränkt revisibel (Rn. 98).
Da die Tatsacheninstanzen jedoch keine hinreichenden Feststellungen zur Geltung der BV Bonus getroffen hatten, verwies das BAG die Sache an das LAG zurück (Rn. 126 f.).
Urteil des BAG vom 25.01.2023
Nun hat das BAG in seinem Urteil vom 25.01.2023 (10 AZR 319/20, AP Nr. 323 zu § 611 BGB Gratifikation) erneut mit diesem Bonussystem befaßt. Die Tatsacheninstanzen hatten in diesem Fall der Klägerin eine variable Vergütung zugesprochen und dabei eine Erreichung der Geschäftsziele zu 100 % unterstellt.
Obwohl der Arbeitgeber in der Berufungsinstanz zur Nichterreichung der Geschäftsziele im einzelnen vorgetragen hatte, hatte das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen hierzu getroffen und diesen Vortrag übergangen.
Bei der nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB vorzunehmenden gerichtlichen Bestimmung einer variablen Vergütung nach billigem Ermessen kann das Revisionsgericht den Beurteilungsspielraum der Tatsachengerichte nur eingeschränkt überprüfen. Es prüft,
• ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der Billigkeit verkannt hat,
• ob es die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat und
• ob es von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgegangen ist, der ihm den Zugang zu einer fehlerfreien Ermessensausübung versperrt hat (Rn. 34).
Die vom LAG vorgenommene Leistungsbestimmung – so das BAG – halte dieser Überprüfung nicht stand, da es nicht sämtliche Umstände berücksichtigt habe (Rn. 35). Dies führte zur Aufhebung des Berufungsurteils (Rn. 38) und zur Rückverweisung des Rechtsstreits an eine andere Kammer des LAG (Rn. 39).
Denn die Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB ist vom Gericht auf Grundlage des Vortrags der Parteien zu treffen. Die Ausübung des richterlichen Ermessens muß auf Grundlage des gesamten Prozeßstoffs stattfinden. Eine Darlegungs- und Beweislast im prozessualen Sinn besteht zwar nicht. Doch ist jede Partei gehalten, die für ihre Position sprechenden Umstände vorzutragen (Rn. 33). Letzteres hatte der Arbeitgeber hier beachtet. Nur allein das LAG berücksichtigte seinen Vortrag nicht.
Schlußfolgerungen für die Praxis
Nicht nur bei der Gestaltung von Bonussystemen ist juristische Sorgfalt gefragt, sondern auch bei der Ausübung der darin dem Arbeitgeber eingeräumten Ermessensspielräume. Versäumnisse hierbei können langwierige Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen.
Für Arbeitnehmer wiederum sind Boni nicht ohne weiteres verloren, wenn wirtschaftliche Unternehmensziele verfehlt werden.
Für beide Seiten gilt: Auf die konkrete Ausgestaltung und deren Umsetzung kommt es an!
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