Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in seinem Urteil vom 30.03.2023 (8 AZR 120/22) darüber zu entscheiden, ob die Geschäftsführer einer insolventen GmbH Arbeitnehmern für den Mindestlohn haften.
Relevant ist diese Frage für Zeiten vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, für die kein Insolvenzgeld gezahlt werden kann, weil sie außerhalb des Drei-Monats-Zeitraums liegen.
Was war geschehen?
Der klagende Arbeitnehmer war auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 07. März 1996 seit dem 18. März 1996 bei der Arbeitgeberin, einer GmbH, tätig.
Wegen teilweiser monatelang verspätet gezahlter Arbeitsvergütung machte der Arbeitnehmer im Jahr 2017 ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung geltend. Im Juni 2017 erbrachte er für die Arbeitgeberin daher keine Arbeitsleistung. In diesem Monat hätte er ohne die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts insgesamt 176 Stunden gearbeitet. Die Arbeitgeberin zahlte dem Kläger für Juni 2017 keine Vergütung.
Am 01. November 2017 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beklagten waren im Juni 2017 und bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens Geschäftsführer der Arbeitgeberin. Für den Zeitraum von Juli bis September 2017 bezog der Arbeitnehmer von der Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld.
Mit seiner Klage nahm der Kläger die beklagten GmbH-Geschäftsführer auf Schadensersatz wegen von der Schuldnerin für den Monat Juni 2017 nicht geleisteter Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns in Anspruch. Er hat die Auffassung vertreten, Arbeitgeberin hätte ihm für 176 auf Juni entfallende Arbeitsstunden eine Vergütung mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von seinerzeit 8,84 € brutto je Stunde zahlen müssen. Hierfür hafteten die Beklagten persönlich.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Arbeitnehmers zurückgewiesen.
Urteil des BAG vom 30.03.2023
Die Revision des Arbeitnehmers blieb erfolglos.
Das BAG konnte dabei offenlassen, ob der Arbeitnehmer für Juni 2017 wegen Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts an seiner Arbeitsleistung einen Anspruch gegen die Arbeitgeberin auf Vergütung wegen Annahmeverzugs aus § 615 Satz 1 i. V. m. §§ 611a Abs. 2, 273 Abs. 1 BGB hat. Die Beklagten haften nämlich als Geschäftsführer der Arbeitgeberin dem Kläger nicht persönlich für die unterbliebene Zahlung des Mindestlohns.
Die Haftung von Geschäftsführern einer GmbH ist grundsätzlich auf das Verhältnis zur Gesellschaft begrenzt (§ 43 Abs. 2 GmbHG). Außenstehenden Dritten haften Geschäftsführer grundsätzlich nicht persönlich. Die Außenhaftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft ist nach § 13 Abs. 2 GmbHG auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt.
Zwar umfaßt die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 43 Abs. 1 GmbHG auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (sog. Legalitätspflicht). Diese Pflicht besteht aber grundsätzlich nur der Gesellschaft gegenüber und nicht auch im Verhältnis zu außenstehenden Dritten. § 43 Abs. 1 GmbHG regelt allein die Pflichten des Geschäftsführers aus seinem durch die Bestellung begründeten Rechtsverhältnis zur Gesellschaft. Diese Pflichten dienen nicht dem Zweck, Gläubiger der Gesellschaft vor den Folgen einer sorgfaltswidrigen Geschäftsführung zu schützen. Eine Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung hat nur Schadensersatzansprüche der Gesellschaft, nicht hingegen der Gläubiger der Gesellschaft zur Folge.
Ein Geschäftsführer einer GmbH haftet nur dann persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, wenn ein besonderer Haftungsgrund vorliegt. Einen solchen besonderen Haftungsgrund hat das BAG im vorliegenden Fall verneint.
Den Geschäftsführer einer GmbH kann im Einzelfall nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 Mindestlohngesetz i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG eine bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit treffen, wenn die GmbH ihre Verpflichtung aus § 20 Mindestlohngesetz verletzt. Danach muß sie ihren Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns spätestens am letzten Bankarbeitstag des auf die Arbeitsleistung folgenden Monats zahlen.
Diese Verantwortlichkeit führt nach dem Urteil des BAG vom 30.03.2023 allerdings nicht zu einer deliktischen Durchgriffshaftung eines GmbH-Geschäftsführers auf Schadenersatz wegen unterlassener Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns. § 21 Abs. 1 Nr. 9 Mindestlohngesetz i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ist danach kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmer der GmbH im Verhältnis zu deren Geschäftsführer.
Schlußfolgerungen für die Praxis
Geschäftsführer einer insolvenzgefährdeten GmbH können aufatmen. Jenseits der – nur schwer nachweisbaren – vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung von Arbeitnehmern haften sie nicht persönlich für die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns. Dies liegt in der Konsequenz des Haftungssystems des GmbH-Gesetzes.
Betroffene Arbeitnehmer sind für die Zeit drei Monate vor Insolvenzeröffnung durch das Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit sozial abgesichert, nicht jedoch darüber hinaus.
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