Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit auch bei leitenden Angestellten?

Der Beschluß des Bundesarbeitsgerichtes zur Zeiterfassung (BAG, Beschluß vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21) zieht immer weitere Kreise.

1. BAG: § 3 Arbeitsschutzgesetz als Rechtsgrundlage der Arbeitszeiterfassungspflicht

Das Bundesarbeitsgericht hatte die Frage zu klären, ob das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung durch eine gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers zur Einführung eines Zeiterfassungssystems ausgeschlossen ist.

Das Arbeitszeitgesetz kennt keine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers, die gesamten Arbeitszeiten der Beschäftigten im Betrieb zu erfassen. Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage nach der gesetzlichen Verpflichtung dennoch bejaht und diese aus § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz hergeleitet.

Nach dieser Vorschrift sind Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Zur Planung und Durchführung dieser Maßnahmen haben Arbeitgeber für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen.

2. Aber: Keine Aussage des BAG zur Arbeitszeiterfassungspflicht für leitende Angestellte

Dem Betriebsrat fehlt die Zuständigkeit für leitende Angestellte. Da das Bundesarbeitsgericht über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates zu entscheiden hatte, mußte es sich nicht mit der Frage befassen, ob eine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit auch bei leitenden Angestellten besteht.

3. Schlußfolgerungen für den Bereich leitender Angestellter

§ 3 des Arbeitsschutzgesetzes gilt auch für leitende Angestellte. Für leitende Angestellte gilt aber das Arbeitszeitgesetz nicht. Gerade die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes sind jedoch der innere Grund für die Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes, der Arbeitgeber müsse aus Gründen des Arbeitsschutzes ein Arbeitszeiterfassungssystem betreiben.

Das Arbeitszeitgesetz dient (auch) der Umsetzung der europäischen Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG. Gegen eine allgemeine Aufzeichnungspflicht für leitende Angestellte spricht, daß der Europäische Gerichtshof (EuGH vom 14.05.2019 – C-55/18 – CCOO) die Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit aus der europäischen Arbeitszeit-Richtlinie herleitet, und dies unbeschadet von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie. Danach aber können die Mitgliedstaaten von der Richtlinie insbesondere bei leitenden Angestellten abweichen. Hierauf weist das Bundesarbeitsgericht auch in seiner Entscheidung hin (BAG, Beschluß vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21, Rn. 56).

Ohne weiteres dürfte daher keine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit bei leitenden Angestellten bestehen.

Allerdings ist hier vieles im Fluß. Denn nicht wenige Stimmen halten den Ausschluß der leitenden Angestellten aus dem Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes – trotz Art. 17 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie – für europarechtswidrig. Hätten diese Stimmen recht, ließe sich möglicherweise eine Ausdehnung der Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit auf leitende Angestellte rechtfertigen.

Es bleibt, die weitere Entwicklung aufmerksam zu verfolgen. Ohnehin steht in Berlin eine Reform des Arbeitszeitrechtes auf der Agenda.

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