Spezielle Know-how-Anforderungen bringen es oft mit sich, daß Leistungen im Produktions- oder Entwicklungsprozeß auch von Drittunternehmen erbracht werden. Rechtsgrundlage sind in der Regel Dienst- oder Werkverträge.
Vorsicht ist geboten, wenn Arbeitnehmer der Drittunternehmen in einem Team zusammen mit den eigenen Arbeitnehmern arbeiten sollen. Schnell ist hier der Vorwurf der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung erhoben.
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) kommt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zustande, wenn der Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer unwirksam ist. Das ist – neben den Fällen der fehlenden Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nach § 1 AÜG – insbesondere der Fall, wenn zwischen Verleiher und Entleiher
• die Arbeitnehmerüberlassung vor ihrem tatsächlichen Beginn entgegen § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AÜG nicht ausdrücklich als solche bezeichnet ist und
• die Person des Leiharbeitnehmers vor der Überlassung nicht konkretisiert worden ist (§ 9 Abs. 1 Nr. 1a Halbsatz 1 AÜG).
Selten genügen Dienst- und Werkverträge mit Drittunternehmen den Anforderungen des AÜG. Der Auftraggeber kann daher – je nach vertraglicher Ausgestaltung und tatsächlicher Durchführung – das Risiko haben, Arbeitgeber der eingesetzten Mitarbeiter von Drittunternehmen zu sein.
Im Rechtsstreit mit dem Arbeitnehmer des Drittunternehmens kann sich der Auftraggeber nicht darauf verlassen, daß die Dienst- und Werkverträge mit Drittunternehmen nicht vorgelegt werden müssen. Dies zeigt der Fall, den der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) mit Urteil vom 25.07.2023 (9 AZR 278/22) entschieden hat.
Was war geschehen?
Der Kläger war als Systemingenieur bei der Firma E angestellt. Er wurde bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, eingesetzt. Er betreute dort innerhalb eines Teams Steuergeräte für produzierte Fahrzeuge. Dem Team gehörten sowohl Mitarbeiter der Beklagten als auch Mitarbeiter von Fremdfirmen an.
Der Kläger wollte gerichtlich feststellen lassen, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestehe. Er sei bei der Beklagten nicht aufgrund eines Werkvertrags, sondern im Rahmen einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt worden. Der zwischen der Beklagten und der Firma E vertraglich festgelegte Leistungsgegenstand betreffe die Überlassung von Arbeitnehmern. Deren konkrete Aufgaben richteten sich nach den Weisungen der Beklagten. Die Beklagte hätte daher den Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen vorlegen und Tatsachen vortragen müssen, die gegen eine Arbeitnehmerüberlassung sprächen. Dies habe sie versäumt.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger sei als Erfüllungsgehilfe der Firma E im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags (Rahmenvertrags) tätig gewesen. Dieser enthalte die zu erbringenden Leistungen. Auch gebe es ein entsprechendes Leistungsverzeichnis. Die Verteilung der Arbeit innerhalb der Teams sei anhand einer zuvor zwischen der Beklagten und der Firma E abgestimmten Zuordnung der Fremdfirmenmitarbeiter erfolgt. Der Kläger habe nicht substantiiert zur tatsächlichen Durchführung des Vertragsverhältnisses, insbesondere zur Eingliederung und Weisungsstruktur vorgetragen. Daher müsse sie nicht nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast den Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen mit dessen Vertragsarbeitgeberin konkret darlegen.
Das Arbeitsgericht Darmstadt hat die Klage abgewiesen. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung des Klägers abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 25.07.2023 (9 AZR 278/22)
Das BAG hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Das LAG habe ohne Rechtsfehler erkannt, daß zwischen den Parteien infolge verdeckter Arbeitnehmerüberlassung kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis begründet worden sei.
Das BAG grenzt zunächst zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Dienst- bzw. Werkverträgen ab. Arbeitnehmerüberlassung liege nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG vor, wenn der Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sei und dessen Weisungen unterliege. Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG sei durch die spezifische Ausgestaltung mit dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher und dem Leiharbeitsvertrag zwischen Verleiher und Arbeitnehmer gekennzeichnet. Zudem gebe es keine arbeitsvertragliche Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher. Die Vertragspflicht des Verleihers aus dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag sei erfüllt, wenn er den Arbeitnehmer ausgewählt und dem Entleiher zur Verfügung gestellt habe.
Anders sei es bei dem Einsatz eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. Dabei werde der Unternehmer für einen anderen tätig und bleibe für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich.
Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterlägen den Weisungen des Unternehmers und seien dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller könne jedoch gemäß § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführung des Werks erteilen. Entsprechendes gelte für Dienstverträge. Solche Dienst- oder Werkverträge würden vom AÜG nicht erfaßt.
Ob Arbeitnehmerüberlassung oder ein Dienst- bzw. Werkvertrag vorliege, hänge sowohl von den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch von der praktischen Durchführung des Vertrags ab. § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG bestimme, daß die praktische Durchführung maßgeblich sei, wenn Vertrag und dessen tatsächliche Durchführung einander widersprächen.
Der Arbeitnehmer habe die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich ergeben solle, daß gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher als zustande gekommen gelte.
Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast könnten jedoch eine Abstufung der Darlegungs- und Beweislast verlangen. Könne eine darlegungspflichtige Partei die erforderlichen Tatsachen nicht vortragen, weil sie außerhalb des für ihren Anspruch erheblichen Geschehensablaufs stehe, genüge das einfache Bestreiten durch den Gegner nicht, wenn dieser die wesentlichen Umstände kenne und ihm nähere Angaben zuzumuten seien. Hier könne von ihm das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden.
Die Erleichterungen der sekundären Darlegungslast griffen aber nur ein, wenn die darlegungspflichtige Partei alle ihr zur Verfügung stehen- den Möglichkeiten ausgeschöpft habe und sie dennoch ihrer primären Darlegungslast nicht nachkommen könne.
Letzteres sah das BAG als gegeben an. Der Kläger habe vorgetragen, bei der Beklagten nicht aufgrund eines Werkvertrags, sondern im Rahmen einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt worden zu sein. Dazu habe er behauptet, der zwischen der Beklagten und der Firma E vertraglich festgelegte Leistungsgegenstand sei derart unbestimmt, daß er erst durch die Weisungen der Beklagten konkretisiert werden müsse. Damit habe der Arbeitnehmer zum Ausdruck gebracht, daß der Inhalt der Vereinbarung zwischen der Beklagten und seiner Vertragsarbeitgeberin eine Arbeitnehmerüberlassung zum Gegenstand habe. Zudem habe er auf einen gegen die Beklagte verhängten Bußgeldbescheid des Hauptzollamts Darmstadt verwiesen. Dem zufolge enthalte der Rahmenvertrag zwischen der Beklagten und seiner Vertragsarbeitgeberin Hinweise auf eine Arbeitnehmerüberlassung. Zu einem weitergehenden Tatsachenvortrag sei der Kläger nicht in der Lage gewesen, weil ihm der konkrete Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen nicht bekannt gewesen sei.
Es wäre nunmehr im Wege der sekundären Darlegungslast Sache der Beklagten gewesen, dem entgegenzutreten und den Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen darzulegen. Dies sei nicht erfolgt, obwohl das Landesarbeitsgericht der Beklagten entsprechende Hinweise und Auflagen erteilt habe.
Der Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und seiner Vertragsarbeitgeberin sei gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG unwirksam. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, daß bei der Beschäftigung des Klägers die Vorgaben des § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AÜG eingehalten worden seien, d. h. daß die Arbeitnehmerüberlassung im Überlassungsvertrag ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Klägers vor der Überlassung konkretisiert worden sei.
Schlußfolgerungen für die Praxis
Der Fall zeigt für Unternehmen, wie wichtig die Ausgestaltung von Werkverträgen und Dienstverträgen mit Drittunternehmen ist. Bereits Vorfeld werden hier die Weichen gestellt für die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertrag/Dienstvertrag. Die arbeitsrechtlichen Aspekte müssen dabei mitberücksichtigt werden.
Ein Weiteres ist die tatsächliche Durchführung von Werk- und Dienstverträgen. Sollen die Arbeitnehmer von Drittunternehmen im Team mit eigenen Arbeitnehmern eingesetzt werden, bedarf es besonderer Vorsichtmaßnahmen im Vorfeld.
Im Rechtsstreit mit Arbeitnehmern von Drittunternehmen schließlich kann man sich nicht darauf verlassen, daß zu deren Inhalt geschwiegen werden könnte. Die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers wird vom BAG insoweit beschränkt. Mit dramatischen Folgen für das beklagte Unternehmen.
Die Beklagte in dem BAG-Fall hat trotz gerichtlicher Hinweise nicht zu den zugrundliegenden Verträgen vorgetragen. Dies dürfte nicht ohne Grund geschehen sein. Vielleicht war aufgrund der Vertragslage das Hoffen auf eine Entscheidung zu Lasten des Arbeitnehmers wegen unzureichenden Sachvortrags die einzige Chance für die Beklagte.
Für betroffene Arbeitnehmer von Drittunternehmen wiederum zeigt das Urteil des BAG klar den Umfang dessen auf, was man im Prozeß vortragen muß.
Beratung, die weiterführt
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