
Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat sich in einem Fall aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes zu den Pflichten des Arbeitnehmers bei Dienstplanänderungen geäußert. Die Ausführungen des LAG sind aber auch für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft von hohem Interesse.
Ausgangsfall
Ein Notfallsanitäter ist bei einem Betreiber mehrerer Rettungswachen beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet neben dem TVöD-VkA eine Betriebsvereinbarung über Arbeitszeitgrundsätze (BVA) Anwendung.
Die BVA sieht zur Sicherung der Einsatzbereitschaft in allen Rettungswachen vor, daß der Arbeitgeber in den Dienstplänen auch unkonkret zugeteilte Springerdienste anordnen kann. Der Arbeitgeber hat unkonkret zugeteilte Springerdienste bei Tag- und Spätdiensten bis 20 Uhr des Vortages vor Dienstbeginn hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsort zu konkretisieren. Erfolgt keine solche Konkretisierung, hat sich der Arbeitnehmer zur im Dienstplan festgesetzten Zeit in der dort vorgesehenen Rettungswache einzufinden.
Im Streitfall geht es um die Konkretisierung unkonkret zugeteilter Springerdienste für zwei Tage im Jahr 2021. Der Arbeitgeber hatte jeweils kurz vor Ablauf der Fristen nach der BVA die Springerdienste des Rettungssanitäters konkretisiert. Er legte dabei einmal sowohl einen früheren Arbeitsbeginn als auch einen anderen Arbeitsort, ein anderes Mal lediglich einen anderen Arbeitsort fest als ursprünglich im Dienstplan vorgesehen. In beiden Fällen erfolgte die Dienstplanänderung außerhalb der Arbeitszeit des Rettungssanitäters für den jeweils nächsten von ihm zu leistenden Dienst.
Der Rettungssanitäter hatte die Möglichkeit, den aktuellen Dienstplan über das Internet einzusehen. Diese Möglichkeit nutzte er nicht. Der Arbeitgeber versuchte vergeblich, den Rettungssanitäter telefonisch über die Dienstplanänderungen in Kenntnis zu setzen und entsprechend zur Arbeit aufzufordern. Auch eine SMS über die Dienstplanänderung nahm er erst zum ursprünglich vorgesehenen Dienstbeginn am Folgetag zur Kenntnis.
Der Arbeitgeber schrieb dem Rettungssanitäter die entsprechend nicht geleisteten Arbeitszeiten nicht auf dem Arbeitszeitkonto gut und mahnte ihn ab. Hiergegen wendet sich der Rettungssanitäter mit seiner Klage.
Urteil des LAG Schleswig-Holstein
Das Arbeitsgericht Elmshorn hat in erster Instanz die Klage abgewiesen (Urteil vom 27.01.2022 – 5 Ca 1023 a/21, BeckRS 2022, 30090). Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (Urteil vom 27.09.2022 – 1 Sa 39 öD/22, NZA-RR 2022, 624) hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn abgeändert und den Arbeitgeber verurteilt, für die fraglichen Tage dem Kläger Arbeitsstunden auf dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben und die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
Die fraglichen Dienstplanänderungen seien dem Arbeitnehmer nicht rechtzeitig zugegangen. Mit der Änderung des Dienstplans übe der Arbeitgeber sein Direktionsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer aus. Die Ausübung des Direktionsrechts sei eine empfangsbedürftige Gestaltungserklärung (Rn. 54). Diese müsse dem Arbeitnehmer rechtzeitig zugehen, was das eine Mal nicht nachgewiesen (Rn. 56), das andere Mal erst bei Dienstantritt am ursprünglich vorgesehenen Arbeitsort der Fall gewesen sei (Rn. 75 f.). Der Arbeitgeber habe den Arbeitnehmer telefonisch nicht erreicht (Rn. 58). Erreicht habe den Arbeitnehmer lediglich die SMS. Diese habe er jedoch erst zu Beginn seiner dienstplanmäßigen Arbeitszeit am nächsten Tag zur Kenntnis nehmen müssen (Rn. 60). Die Kenntnisnahme einer Dienstplanänderung sei Arbeitsleistung (Rn. 65). Außerhalb der Arbeitszeit sei der Arbeitnehmer jedoch weder verpflichtet, SMS des Arbeitgebers zu lesen, noch den Dienstplan im Internet einzusehen. Der Arbeitnehmer habe insoweit ein Recht auf Unerreichbarkeit in der Freizeit (Rn. 63 f.).
Die entsprechend nicht geleisteten Arbeitsstunden seien das eine Mal unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges (Rn. 50), das andere Mal unter dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes für die verspätete Mitteilung des geänderten Arbeitsortes (Rn. 77 ff.) gutzuschreiben. Die Abmahnung sei rechtswidrig. Eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers liege insoweit nicht vor (Rn. 89).
Das LAG ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der zugrundeliegenden Rechtsfragen zu (Rn. 91). Mittlerweile ist beim Bundesarbeitsgericht das Revisionsverfahren anhängig (5 AZR 349/22).
Schlußfolgerungen für Arbeitnehmer
Für Arbeitnehmer ergibt sich aus dem Urteil des LAG Schleswig-Holstein Folgendes:
- In rechtlicher Hinsicht steht es Arbeitnehmern frei, Anrufe, SMS und E-Mails Ihres Arbeitgebers in der Freizeit nicht zur Kenntnis zu nehmen. Wie bei jeder Ausübung von Rechten sollte hierbei mit Augenmaß gehandelt werden. Klare Absprachen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber können Konflikte entschärfen.
- In manchen Fällen kann für Arbeitnehmer eine konsequente Abgrenzung aber durchaus geboten sein, etwa wenn ihr Arbeitgeber oder Vorgesetzter sie regelmäßig wegen Nichtigkeiten in der Freizeit kontaktiert. Hier gibt das Urteil ein probates Mittel zur Hand. Gleichwohl sollte zur weiteren Absicherung die Revisionsentscheidung des BAG abgewartet werden.
Schlußfolgerungen für Arbeitgeber
Für Arbeitgeber zeigt das Urteil des LAG Schleswig-Holstein verschiedene Aspekte:
- Das Lesen von E-Mails, SMS und Messengernachrichten sowie das Führen dienstlicher Telefonate in Freizeit und Urlaub sind Arbeitsleistung. Die dafür aufgewandte Zeit ist daher – ungeachtet ihrer Kürze – Arbeitszeit. Dies gilt nach Auffassung des LAG auch für die Kenntnisnahme von Dienstplänen. Bereits diese kann daher zum Neubeginn der elfstündigen Ruhezeit nach § 5 Arbeitszeitgesetz führen (Seel, öAT 2023, 35; Stück, CCZ 2023, 79).
- Es gibt nach Auffassung des LAG keine Pflicht des Arbeitnehmers, in Freizeit und Urlaub erreichbar zu bleiben. Änderungen des Dienstplanes während der Freizeit oder des Urlaubs des Arbeitnehmers sind daher für den Arbeitgeber risikobehaftet. Es ist nicht sichergestellt, daß sie zur Kenntnis genommen und befolgt werden. Soweit möglich, sollten daher Arbeitgeber Arbeitszeit und Arbeitsort für den nächsten Arbeitstag dem Arbeitnehmer spätestens während dessen Arbeitszeit am vorangegangenen Arbeitstag mitteilen (Lorenz, SPA 2023, 4). Mitunter wird dies nicht möglich sein. Der Verweis auf Rufbereitschaftssysteme und organisatorische Maßnahmen (Paul, ArbRAktuell 2022, 622) ist insoweit zutreffend, wirft aber zugleich die Frage nach Aufwand und Nutzen auf. Hier sollte die Beratung durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht ansetzen.
- Mangels entsprechender Regelung in der BVA war im konkreten Fall unerheblich, inwieweit die Betriebspartner in einer Betriebsvereinbarung die Verpflichtung der Arbeitnehmer festlegen können, in Freizeit und Urlaub Dienstplanänderungen zur Kenntnis zu nehmen. Hier würde sich zum einen die Frage der Sperrwirkung der tariflichen Regelung zur Rufbereitschaft im TVöD-VkA stellen. Deren Beantwortung hängt von der konkreten Ausgestaltung der Regelung im Einzelfall ab. Zum anderen wäre zu klären, inwieweit die Betriebspartner in das Recht des Arbeitnehmers auf Unerreichbarkeit in der Freizeit eingreifen können. In jedem Fall bliebe der Konflikt zur elfstündigen Ruhezeit nach § 5 Arbeitszeitgesetz. Dieser ließe sich rechtlich nur lösen, wenn man die bloße Kenntnisnahme einer Dienstplanänderung in der Freizeit jedenfalls nicht ohne Weiteres als Arbeitszeit werten würde. Insoweit bleibt die Revisionsentscheidung des BAG abzuwarten.
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Update vom 14. Dezember 2023
Das BAG hat mit Urteil vom 23. August 2023 das Berufungsurteil des LAG Schleswig-Holstein aufhoben. Mit den mittlerweile veröffentlichten Entscheidungsgründen befaßt sich mein Blog-Beitrag vom 14. Dezember 2023.