Urlaub für GmbH-Geschäftsführer: Wann gilt das Bundesurlaubsgesetz?

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Nach § 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeits-verhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Nach § 2 BUrlG unterliegen dem Geltungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes Arbeiter und Angestellte sowie Auszubildende und arbeitnehmerähnliche Personen.

Doch was gilt für GmbH-Geschäftsführer? Die neueste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) legt hier eine differenzierte Betrachtungsweise nahe. Dies zeigt der jüngst vom BAG entschiedene Fall einer Fremdgeschäftsführerin.

Was war geschehen?
Die Klägerin war seit 2012 als (Fremd-) Geschäftsführerin bei der beklagten GmbH bestellt und dort angestellt. Nach dem Gesellschaftsvertrag der Beklagten kann ein Geschäftsführer jederzeit abberufen werden.

Die Klägerin wurde seit 2018 in der Geschäftsstelle einer anderen Gesellschaft eingesetzt, die zur Unternehmensgruppe der Beklagten gehörte. Die Klägerin hatte dabei eine feste Arbeitszeit einzuhalten. Vormittags mußte sie telefonische Kaltakquise durchführen. Nachmittags wurde sie im Außendienst, zu Kundenbesuchen und für Kontroll- und Überwachungsaufgaben eingesetzt. Sie hatte wöchentlich vierzig Telefonate und zwanzig Besuche nachzuweisen. Außerdem führte sie Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen.

Die Klägerin hatte einen vertraglichen Anspruch auf 33 Tage Jahresurlaub. Im Jahr 2019 nahm sie hiervon elf Tage und im Jahr 2020 keinen Urlaub in Anspruch. Die Klägerin wurde von der Beklagten zu keiner Zeit aufgefordert, den Urlaub zu nehmen, geschweige denn auf einen möglichen Verfall hingewiesen.

Am 05. September 2019 legte die Klägerin gegenüber der Beklagten ihr Amt als Geschäftsführerin nieder. Am 17. September 2019 wurde sie aus dem Handelsregister als Geschäftsführerin ausgetragen. Das Vertragsverhältnis der Parteien endete durch Kündigung der Klägerin vom 25. Oktober 2019 zum 30. Juni 2020.

Vom 30. August 2019 bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses erbrachte die Klägerin keine Arbeitsleistung und legte der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor.

Die Klägerin verlangte Urlaubabgeltung für 2019 und 2020. Das Arbeitsgericht Minden hat mit Urteil vom 13. November 2020 (2 Ca 705/20) ihrer Klage ganz überwiegend stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat mit Urteil vom 24. Juni 2021 (5 Sa 1494/20) die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgte die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 25. Juli 2023 (9 AZR 43/22)
Das BAG hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Die Klägerin könne als Geschäftsführerin Urlaubsabgeltung verlangen.

Der Anspruch als Fremdgeschäftsführerin einer GmbH ergebe sich unmittelbar aus § 7 Abs. 4 BUrlG. Dies gelte unabhängig davon, ob die Klägerin nach nationalem Recht als Arbeitnehmerin anzusehen sei. § 7 Abs. 4 BUrlG sei konform mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG auszulegen. Für die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs in § 2 BUrlG bedeute dies, daß die vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entwickelten Grundsätze zum Arbeitnehmerbegriff heranzuziehen seien.

Als Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG sei jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübe. Außer Betracht blieben lediglich Tätigkeiten, die einen so geringen Umfang hätten, daß sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellten. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses bestehe darin, daß jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringe, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhalte (EuGH, Urteil vom 26. März 2015 – C-316/13 – [Fenoll], Rn. 27 m. w. N.).

Nach der Rechtsprechung des EuGH sei es nicht ausgeschlossen, daß das Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts sei, selbst wenn der Grad der Abhängigkeit oder Unterordnung eines Geschäftsführers bei der Ausübung seiner Aufgaben geringer sei als der eines Arbeitnehmers im Sinne der üblichen Definition des deutschen Rechts (vgl. EuGH, Urteil vom 09. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya], Rn. 38; EuGH, Urteil vom 11. November 2010 – C-232/09 – [Danosa], Rn. 47).

Die Eigenschaft als Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts hänge von den Bedingungen ab, unter denen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt worden sei, der Art der ihm übertragenen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt würden, dem Umfang der Befugnisse des Mitglieds und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliege, sowie der Umstände, unter denen es abberufen werden könne (vgl. EuGH, Urteil vom 09. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya], Rn. 38; EuGH, Urteil vom 11. November 2010 – C-232/09 – [Danosa], Rn. 47; BAG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 9 AZR 76/16 -, Rn. 24, BAGE 158, 6). In die Gesamtwürdigung der Umstände sei einzubeziehen, in welchem Umfang der geschäftsführende Gesellschafter über seine Anteile an der Willensbildung der Gesellschaft wahrnehme (vgl. EuGH, Urteil vom 09. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya], Rn. 40).

Danach sei die Klägerin als Arbeitnehmerin im Sinne des Unionsrechts zu qualifizieren. Nach den Feststellungen des LAG sei sie weisungsgebunden tätig gewesen. Sie habe auf Anweisung eine feste Arbeitszeit einzuhalten gehabt. Auch die Art der ihr übertragenen Aufgaben spreche für die Arbeitnehmereigenschaft. Diese hätten im Wesentlichen aus typischen Aufgaben eines Angestellten bestanden. Zudem könne nach dem Gesellschaftsvertrag der Beklagten ein Geschäftsführer jederzeit abberufen werden. Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin Mehrheitsgesellschafterin gewesen sei oder eine Sperrminorität besessen habe, seien nicht ersichtlich.

Daß die Klägerin ihr Geschäftsführeramt niederlegte, könne sich im konkreten Fall nicht auf die Berechnung des Urlaubs auswirken. Durch die Amtsniederlegung sei es der Klägerin nicht unmöglich geworden, ihre vertraglichen Pflichten zu erfüllen.

Der gesetzliche Urlaubsanspruch setze dem Grunde nach allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraus. Er stehe nicht unter der Bedingung, daß der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht habe. Der Umfang des gesetzlichen Urlaubsanspruchs bemesse sich nach den regelmäßigen Tagen mit Arbeitspflicht. Diese könnten sich unterjährig aufgrund verschiedener Umstände ändern. Das könne eine zeitabschnittsbezogene Berechnung erfordern, indem die in § 3 Abs. 1 BUrlG genannten 24 Werktage Mindesturlaub durch die Anzahl der Arbeitstage im Jahr geteilt und mit der Anzahl der für den Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitstage multipliziert würden (vgl. BAG, Urteil vom 19. März 2019 – 9 AZR 406/17 -, Rn. 28 ff.).

Eine zeitabschnittsbezogene Berechnung könne auch dann veranlaßt sein, wenn der Geschäftsführer einer GmbH sein Amt niederlege und deshalb außerstande sei, seine Funktion als Geschäftsführer zu erfüllen. Die Frage, ob beschäftigungslose Zeiten in diesem Fall Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen seien, bedürfe im Streitfall aber keiner Entscheidung. Der Klägerin sei durch die Niederlegung ihres Geschäftsführeramtes die Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten nicht unmöglich geworden.

Der Dienstvertrag sehe zwar nur ihre Beschäftigung als Geschäftsführerin vor. Eine Tätigkeit unterhalb der Organebene könne typischerweise aus dem Anstellungsvertrag, der die Geschäftsführertätigkeit regele, nicht hergeleitet werden (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2010 – II ZR 266/08 -, Rn. 9).

Dieser typisierende Grundsatz greife hier aber nicht. Die Parteien hätten abweichend vom Normalfall auch Tätigkeiten unterhalb der Geschäftsführertätigkeit zum Gegenstand ihres Vertragsverhältnisses gemacht. Die Beklagte habe die Klägerin vor deren Amtsniederlegung in der Geschäftsstelle eingesetzt. Dort habe die Klägerin seit 2018 Aufgaben unterhalb der Organebene ausgeübt. Diese hätte sie auch nach der Amtsniederlegung weiter erfüllen können.

Zu dem Zeitpunkt, als das Anstellungsverhältnis mit der Beklagten endete, habe die Klägerin Anspruch gehabt auf 22 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2019 und 16,5 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2020. Dieser Urlaub habe ihr wegen der Beendigung des Rechtsverhältnisses nicht gewährt werden können. Er sei daher nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.

Schlußfolgerungen für die Praxis
Das BAG hat klargestellt, daß das Bundesurlaubsgesetz auf Fremdgeschäftsführer einer GmbH anzuwenden ist. Die Argumentationslinie des BAG weist dabei Parallelen zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern (vgl. BSG, Urteil vom 07. Juli 2020 – B 12 R 17/18 R -, NZS 2021, 643, 644 Rn. 17 m. w. N.) auf:

Fremdgeschäftsführer unterliegen den Weisungen der Gesellschafterversammlung und können ihnen nicht genehme Weisungen rechtlich nicht verhindern. Die Weisungsgebundenheit macht sie sowohl zu Arbeitnehmern im Sinne der der Richtlinie 2003/88/EG als auch zu Beschäftigten im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV.

Auch für die Folgefrage, ob das Bundesurlaubsgesetz auch auf Gesellschafter-Geschäftsführer Anwendung findet, bietet das BAG eine aus dem Sozialversicherungsrecht vertraute Argumentationsgrundlage:

Der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer unterliegt grundsätzlich wie ein Fremdgeschäftsführer den Weisungen der Gesellschafterversammlung und hat aufgrund seiner Minderheitsbeteiligung grundsätzlich nicht die Rechtmacht, ihm nicht genehme Weisungen zu verhindern. Die Weisungsgebundenheit macht ihn zum Arbeitnehmer im Sinne der der Richtlinie 2003/88/EG. Das Bundesurlaubsgesetz dürfte damit anwendbar sein.

Anders ist es aber, wenn der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer aufgrund einer Sperrminorität oder eines Vetorechts Beschlüsse der Gesellschafterversammlung verhindern kann. Dann dürfte er nicht als Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG gelten. Das Bundesurlaubsgesetz findet dann keine Anwendung.

Ist ein Allein- oder Mehrheitsgesellschafter Geschäftsführer der GmbH, findet das Bundesurlaubsgesetz ebenfalls keine Anwendung. Denn er kann in der Gesellschafterversammlung jederzeit ihm nicht genehme Weisungen verhindern. Ausnahmen sind hier bei Mehrheitsgesellschaftern denkbar, etwa wenn der Gesellschaftsvertrag anderen Gesellschaftern einer Sperrminorität oder ein Vetorecht einräumt.

Soweit nach dem Vorigen das Bundesurlaubsgesetz Anwendung findet, ist die Gestaltungsfreiheit der Gesellschaft beim Urlaub des GmbH-Geschäftsführers eingeschränkt. Für Verfall und Verjährung gelten dieselben Grundsätze wie bei Arbeitnehmern, vgl. hierzu meinen Blog-Beitrag vom 01. März 2023.

Bei der Gestaltung von Geschäftsführeranstellungsverträgen sollte dem ebenfalls Rechnung getragen werden, z. B. durch differenzierte Regelungen zum gesetzlichen Mindesturlaub und zum vertraglichen Mehrurlaub.

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